16.12.2015
Autor: Tim Griese / SuperMittwoch Alsdorf
Im Teil- und Tauschring konnten Flüchtlinge Collagen anfertigen und so ihre Gefühle ausdrücken
ALSDORF. Im Teil- und Tauschring in Alsdorf herrscht Hochbetrieb – nicht nur im Ladenlokal, wo viele Menschen die dort angebotenen´Kleidungsstücke begutachten, anprobieren und mitnehmen. Auch nebenan an einem großen Tischkreis ist einiges los: Große Pappbögen, Zeitungsschnipsel, Stifte, Scheren und Klebstofftuben stapeln sich zwischen Kerzen und Gebäck aus dem Nahen Osten.
An diesem Vormittag findet zum zweiten Mal das Kreativcafé statt, das sich in erster Linie an männliche Flüchtlinge richtet. Sechs Besucher sind gekommen. Andrea Hoffmann freut sich über die gute Resonanz. Sie ist Projektleiterin des Teil- und Tauschrings, einem Projekt der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, Diözesanverband Aachen, und der Pfarre St. Castor, das als Teil eines Projektverbundes von ABBBA und der Stadt Alsdorf unterstützt wird. Im Kreativcafé soll den Flüchtlingen die Möglichkeit gegeben werden, auf gestalterische Weise mit den Gründen ihrer Flucht, ihren Erlebnissen in den Heimatländern und auf ihrer Reise sowie den Perspektiven und Wünschen in Deutschland umzugehen. Es entstehen Collagen, die jetzt im Schaufenster in der Luisenpassage zu sehen sind.
„Das Café bietet keine Trauma-Therapie“, sagt Hoffmann. Es gehe vielmehr darum, Kontakt zu den Menschen aufzubauen, die Zuflucht in Deutschland suchen würden, und ihnen die Chance zu geben, zu erzählen, was sie erlebt haben und erleben möchten. „Durch das Kennenlernen kommen Beziehungen zustande. Es wird immer nur von Zahlen gesprochen, hier bekommen die Menschen ein Gesicht und einen Namen. Das Basteln ist insofern ein Vehikel für einen echten menschlichen Austausch. Das passiert viel zu selten.“ Noch ist das Angebot, das über das vom Land Nordrhein-Westfalen geförderte Projekt „Alles in der Mitte“ finanziert wird, in einer Probephase. Es soll geprüft werden, auf welche Weise man am besten geflohene Menschen erreicht, berichtet Eva Druschke, Leiterin des Projekts „Frauen stärken“, das ebenfalls im Teil- und Tauschring stattfindet. Im Kreativcafé sind in erster Linie Männer angesprochen: „Das ist logisch, schließlich sind es auch überwiegend Männer, die sich auf die Reise gemacht haben und ihre Familien in der Heimat zurücklassen mussten.“
Die Brüder Montaser und Majed Kontar (25) aus Syrien sind vor den Bomben in ihrem Heimatland nach Deutschland geflohen. „Hier sind wir frei, alle sind gleich“, sagen sie, während sie in Zeitschriften nach Bildern suchen, die ihre Gefühle am besten widerspiegeln, um sie dann ausschneiden und auf den bunten Pappbögen zu arrangieren – auf der einen Seite das zerstörte und unter den Kriegsqualen leidende Syrien, auf der anderer Fotos, die sie mit Deutschland verbinden. „Wir wollen zeigen, was in Syrien passiert. Wir wollen die Wahrheit zeigen“, sagen sie.
Aqeed Fallah Hassan ist 32 Jahre alt und war in seiner Heimat Irak Lehrer. 2014 ist der Jeside aus der Stadt Sindschar geflohen, nachdem die Terrormiliz des sogenannten Islamischen Staats dort Anschläge verübte. Seit zwei Monaten ist er in Deutschland und hat eine ganze Reihe teilweise grausamer Handybilder mitgebracht, mit denen er nun zeigen will, was im Irak vor sich geht. „Die Leute sollen mitbekommen, dass diese Sachen nicht nur in Syrien passieren“, sagt er. Kalaf Rowan ist 20 und kommt aus Syrien. „Ich kann die deutsche Sprache nicht, aber ich kann mit Bildern sprechen“, sagt er. Was er auf seiner Flucht erlebt hat, was er sich wünscht, wie seine Zukunft aussehen soll – all das formuliert er mit seiner Collage. Auch Muhamad Kwied (57) und seine Frau Halima Kholil (53) stammen aus Syrien. Sie wollen ein Zeichen des Friedens setzen, gleichzeitig aber auch darlegen, welche Schmerzen sie erlebt haben und zeigen, wie es in ihren Herzen aussieht, berichten sie. Syrien früher und Syrien heute – das ist das Thema ihrer Collage, die zerbombte und völlig zerstörte Städte auf der einen Seite blühenden Straßenzügen aus guten Zeiten auf der anderen gegenüberstellt. „Wir wünschen uns vor allem eine gute Zukunft für unsere Kinder“, sagen die beiden.