Wenn es plötzlich an der Kabinentür klopft

Ein Kreuzweg am Rand unserer Gesellschaft

Kreuzweg der Arbeit (c) Thomas Hohenschue
Datum:
Mi. 6. Apr. 2022

Der Kreuzweg der Arbeit führte die KAB 2022 auf die Raststätte Aachen-Land Nord – Prekäre Situation der osteuropäischen Fernfahrerinnen und -fahrer im Blick

Eine Welt für sich: ein Rastplatz wie Aachen-Land Nord. Die meisten Menschen aus der Region fahren auf dem Weg nach Aachen, Belgien oder den Niederlanden achtlos dran vorbei. Was die wenigsten ahnen: Hinter der Raststätte und Tankstelle reiht sich auf einer riesigen Erweiterungsfläche LKW an LKW. Die meisten führen osteuropäische Kennzeichen. Die Fahrerinnen und Fahrer ruhen in ihren Kabinen, müssen die Zeit bis zum Erlöschen der Ruhepflicht totschlagen, nicht beachtet, ohne Kontakt, außer zu anderen Fernfahrenden, mit denen sie gut vernetzt sind.

Nun erhielten sie Besuch von jemandem, der sich für sie interessiert, sie im wörtlichen Sinne sah, einfach mal an die Kabinentür klopfte und nachfragte, wie es ihnen so geht. Wir als KAB der Diözese Aachen, insbesondere der Bezirke Aachen-Land und Aachen-Stadt/Eifel, haben unseren diesjährigen Kreuzweg der Arbeit bei stürmischem Regenwetter bei den LKW-Fahrern verbracht. Das taten wir zusammen mit dem Sachausschuss Kirche und Arbeiterschaft in den Kirchenregionen Aachen-Stadt und Aachen-Land. Begleitet wurden wir von den DGB-Kolleginnen und -Kollegen von Faire Mobilität, Dortmund, die sehr viel Erfahrung im Umgang mit den prekären Situationen haben, in denen sich die Berufskraftfahrer befinden.

Denn darum ging es im Wesentlichen: Sehr viele Fahrer aus osteuropäischen Ländern arbeiten in ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen, übernehmen ungewollt unternehmerische Risiken, werden gesetzeswidrig weit unter dem hiesigen Tariflohn entlohnt, sind der Willkür ihres Arbeitgebers ausgeliefert. Widerstand gegen Praktiken wie zu enge Lieferpläne, die nur unter Verstoß gegen Arbeitsschutz und Ruhepflicht einzuhalten sind, gibt es kaum. Die Frauen und Männer sind auf diese Jobs angewiesen, das aus ihrer Sicht durchaus üppige Gehalt führen sie zum Teil an ihre Familien in der Heimat ab. Dass sie von diesen Monate lang getrennt sind, auch von Kindern, die aufwachsen, gehört zum harten Charakter ihres Berufs. Die Branche quetscht sie aus, fordert alle Kraft und Zeit, ohne Rücksicht auf Menschlichkeit. Das ist nach Einschätzung der Expertinnen und Experten von Faire Mobilität der Standard in diesem Gewerbe. Gerade in Deutschland gibt es viel zu wenige Kontrollen, ob die Gesetze eingehalten werden.

Auf dem weitläufigen Gelände der Raststätte Aachen-Land Nord verteilten wir, neben einer netten vorösterlichen Aufmerksamkeit, Infozettel, die in diversen Sprachen auf wichtige Rechte der Fahrerinnen und Fahrer hinwiesen und den Kontakt zu Beratungsangeboten aufführten. Viele der Angesprochenen freuten sich über den Besuch und über die Wertschätzung. Sie kurbelten ihr Kabinenfenster runter, begannen einen Schwatz, am einfachsten natürlich mit denen von uns, die über osteuropäische Sprachkenntnisse verfügen. Manchmal stiegen auch welche aus, erzählten von ihrem Alltag und ihrem Leben. Auch Smartphones wurden gezückt, um etwas zu zeigen. Spätestens hier kam dann auch die bedrückende Situation des Krieges in der Ukraine zur Sprache und was sich damit verbindet: Sorgen und Ängste, Unsicherheiten und Spannungen. Die starke Verbundenheit in der Fernfahrercommunity erhält Risse, noch nicht so stark in Deutschland, aber zum Beispiel in Polen erfahren russische Fahrer bereits Beleidigungen und Bedrohungen. Ein neues, riesiges Thema, das sich neben der ohnehin prekären Situation der Fernfahrer gerade auftut.

Mit einem Gottesdienst schlossen wir die zweistündige Aktion ab, mit dem festen Willen, weiter für faire Löhne zu streiten, Brücken zu den Beratungsstellen zu bauen, die Öffentlichkeit über die Lage der Fernfahrer aufzuklären und für mehr Wertschätzung dieser Menschen sorgen, die für unseren Wohlstand schlecht bezahlt, schlecht eingesetzt und schlecht abgesichert ihre Lebenszeit am Steuer und auf Rastplätzen verbringen.

 

Text und Fotos: Thomas Hohenschue

 

Kreuzweg der Arbeit (c) Thomas Hohenschue
Kreuzweg der Arbeit (c) Thomas Hohenschue
Kreuzweg der Arbeit (c) Thomas Hohenschue
Kreuzweg der Arbeit (c) Thomas Hohenschue